Am 21. und 22. Juni 2012 fand an der TU die erste Logistikwerkstatt Graz statt, die vom Verein Netzwerk Logistik (VNL) ausgerichtet wurde und vom Institut für Technische Logistik organisiert und wissenschaftlich betreut wurde.
Man kann sich zwar über einen Mangel an logistikrelevanten Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum nicht beklagen, dennoch stößt die Logistikwerkstatt in eine inhaltliche und geografische Lücke. Die großen Logistikanlagenhersteller wie SSI Schäfer-Peem, die KNAPP AG und Salomon aber auch weitere relevante Anbieter wie YLog, ISA und TAGnology befinden sich im direkten Umkreis der steirische Landeshauptstadt Graz. Der Bedarf an einer neutralen Plattform auf der Hersteller, Anwender, Forscher und Systementwickler für technische Logistiklösungen sich austauschen ist deutlich. Das durch das Institut für Technische Logistik entwickelte Format einer zweitätigen Veranstaltung mit einem Wissenschaftstag und einem Industrietag entspricht diesem Bedarf an einer breiten Basis und vielschichtigen Betrachtungswinkeln. Die eingebettete Exkursion ermöglicht die Schaffung und Vertiefung von Kontakten um über die Konferenz hinaus Gemeinsamkeiten und den Erfahrungsaustausch zu finden.
Die erste Logistikwerkstatt widmete sich dem Thema „Ressourceneffizienz in der Technischen Logistik“. Der Wissenschaftstag am 21.6.2012 lässt sich thematisch in drei Blöcke teilen. Zunächst werden die Beiträge durch gesamtheitliche Netzbetrachtungen zur Effizienzsteigerung aufgezeigt.
Prof. Michael ten Hompel aus Dortmund fesselte die Teilnehmer mit einem wissenschaftlichen Resumee zum Effizienzcluster LogistikRuhr. Unter den drei gesellschaftlichen Herausforderungen: „Effizienter Umgang mit Ressourcen“, „Individualität bewahren“ und „Urbane Versorgungssicherheit“ konnte er sehr anschaulich die verschiedenen Leitprojekte anhand einer „Forschungslandkarte“ zuordnen und somit einen Einblick in das 100 Mio. Euro Forschungsprojekt geben. An dem Projekt sind 120 Unternehmen und 11 Forschungseinrichtungen beteiligt, die in Fünf Jahren ca. 100 Einzelprojekte bearbeiten. Die aktuellen Entwicklungen sieht ten Hompel als den Beginn der vierten industriellen Revolution „Cyber Physical Systems & Internet der Dinge“ an.
Russ Meller, Hefley Professor of Logistics and Entrepreneurship aus Arkansas (USA) stellte die Forschungsinitiative „physical internet“ vor, an der amerikanische und europäische Forscher und Unternehmen beteiligt sind. „The Physical Internet (PI) is an open global logistics system founded on physical, digital and operational interconnectivity through encapsulation, interfaces and protocols. – The PI enables an efficient and sustainable logistics web that is both adaptable and resilient.“ Herausforderung ist die Vernetzung klassischer Distributionsnetzwerke zu besseren Auslastung von Transporten und Distributionscentren. Es werden in diversen internationalen Forschungsprojekten modulare Transportcontainer, multifunktionale Hubs und leistungsfähige Kommunikations- und Auktionssysteme entwickelt.
Der zweite Block fokussierte auf die Potentiale innerhalb der Knoten logistische Netze.
Prof. Uwe Clausen aus Dortmund widmete seinen Vortrag der Effizienzsteigerung in den großen Logistikknoten. Die Forschungsbereiche für effiziente logistische Anlagen im Projekt ELA sind in der innerbetrieblichen Routenplanung, einer effizienten Zulaufsteuerung und Transportbündelung, einer geeigneten Ladestellen- und Personaldisposition sowie der Anlagensimulation zu sehen. Mittels der Entwicklung eines „EcoSiteManagers“ werden die Steuerung und Kontrolle großer logistischer Knoten des Güterverkehrs und eine modulare Integration der Anwendungsbereiche verbessert. Ziel der Forschungen ist die Steigerung von Menge, Geschwindigkeit und Qualität bei gleichen Ressourcen einhergehend mit einer Reduktion der stationären CO2 Emissionen bei gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit. Prof Clausen sieht Fortschritte vor allem an den Naht und Schnittstellen der Systeme.
Prof. Hans-Christian Graf vom Logistikum Steyr präsentierte „Innovative Depotkonzepte zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personenverkehrs“. Durch die temporäre Depotmöglichkeit von Reisegepäck in automatisierten Lagermodulen sollen den Reisenden mehr Bequemlichkeit und Möglichkeiten zum Nutzen der Shops und Restaurationen verschafft werden. Basierend auf Studien und Untersuchungen zur Akzeptanz wurde ein automatisiertes Gepäckdepot konzipiert welches auf vorhandene Lagertechnologien aufsetzt. Herausforderungen sind die Kundenakzeptanz im Hinblick auf Servicezeiten und Kosten sowie die Systemsicherheit im Hinblick auf fixe Abfahrtzeiten der Verkehrsmittel.
Den letzten Block des Wissenschaftstages stellten zwei Vorträge zu Basisfragen ressourceneffizienter Technik in der Logistik dar.
Prof. Karl-Heinz Wehking von der Universität Stuttgart stellte zwei Maßnahmen zur Optimierung innerbetrieblicher Fördersysteme vor. Forschungsarbeiten zu den Energieeinsparungsmöglichkeiten an Kettenförderen optimierte Konstruktionen, sinnvolle Dimensionierungen und angepasste Steuerungen versprechen auch über den Lebenszyklus der Anlagen, also im Verschleißbereich deutliche Einsparungen im Energieverbrauch. Kettenförderer als häufig eingesetztes Fördermittel in materialflusstechnischen Anlagen haben einen hohen Anteil am Energieverbrauch, der laut Wehking nicht nur bei der Inbetriebnahme sondern insbesondere im Betrieb und im Instandhaltungskonzept für die Gesamteffizienz ausschlaggebend. Der zweite Teil seines Vortrags widmete sich den aktuellen Entwicklungen aus Stuttgart im Bereich der Kompakten autonomen Kleinfahrzeuge (KaTe) und dem Doppelkufensystem für Palettentransporte. Entgegen den multifunktionalen Ansätzen bekannter Systeme setzt Stuttgart auf monofunktionale Systeme mit kompakten Abmessungen guter Leistungsfähigkeit bei niedrigen Kosten. Als Energiespeicher werden Doppelschichtkondensatoren verwendet.
Prof. Dirk Jodin aus Graz stellte die ersten Ergebnisse eines Forschungsvorhabens zu energieeffizienten Materialflusssystemen vor, welches sich in Kooperation mit einem Industriepartner in einem ganzheitlichen Ansatz den Einsparungspotentialen auf verschiedenen Ebenen nähert, mit dem Ziel einen standardisierten und normierten Maßnahmenkatalog bereit zu stellen. Es konnten standardisierte und im Labor geprüfte Meßverfahren für den Energieeinsatz für Stetigförderer und eine Kennzahl zur Energieeffizienz auf der Geräteebene von Materialflusssystemen präsentiert werden. Die vorgestellte Detailuntersuchung eines Rollenförderers auf Verluste im Antriebsstrang zeigt, dass die rechnerisch notwendige Leistung zum Fördern der Transporteinheiten nur ein Bruchteil der elektrisch aufgenommenen Leistung beträgt. Prof. Jodin stellte heraus, dass ohne geeignete und allgemein anerkannte Kennzahlen, Standards zu deren Erhebung und Vergleichsmöglichkeiten zwischen Geräten, Systemen und Betriebskonzepten keine qualitativ nachweisbare und bewertbare Effizienzsteigerungen möglich sind.
Der Industrietag am 22.6.2012 wurde von Prof. Jodin moderiert und begann mit einem beeindruckenden Initialvortrag von Prof. Rupert Baumgartner von der Uni Graz zur Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit als Herausforderung für die Industrie. Ausgehend von den Entwicklungen der Rohstoffmärkte in den letzten Jahrzehnten, den steigenden Bedarfen und Preisen stellte Prof. Baumgartner Ansatzpunkte zur effizienteren Ressourceneinsatz in der Industrie vor und fokussierte Abschließend auf Möglichkeiten in der Technischen Logistik. Als Slogan bleibt den Teilnehmern sicherlich die Aussage „Wesentlich ist, dass man sich auf dem Weg macht“ in Erinnerung.
Den ersten Fachblock bildeten zwei Vorträge aus der Stahlindustrie, die nicht nur in der Logistik mit knappen Ressourcen umgehen muss.
Herr Peter Karner Leiter der OTC von voestalpine Stahl Donawitz GmbH & Co KG zeigte die Effizienzpotentiale in der Stahlwerklogistik auf. Die sichere und kostengünstige Rohstoffversorgung muss nicht nur durch weltweile Lieferverträge sondern auch durch eine sichere Logistik zur Anlieferung und innerhalb des Stahlwerks garantiert werden. Die lange Logistikkette vom Rohstoff zum Endverbraucher ist die Herausforderung der Stahlwerkslogistik. An eindrucksvollen Beispielen steigender Anforderungen eingesetzter Planungs- und Steuerungsinstrumenten aber auch den besonderen Produkten, wie ultralange Schienen mit Längen von 120 Metern, die an Baustellen in ganz Europa zu transportieren sind oder Just-in-time Lieferungen über 80 Tage von Rohren an die amerikanische Ölindustrie in Houston. Der generelle Trend für Ressourcenverbesserungen liegen laut Karner in der Transportbündelung und verbesserten Steuerung.
Der zweite Vortrag aus der Stahlindustrie wurde von Dr. Leitgeb, Bereichsleiter Logistik bei Böhler Edelstahl zum Thema Effizienz in der Vertriebslogistik gehalten. Herausforderungen sind die komplexen Stoffströme in der einer Werkstattfertigung ähnlichen Edelstahlproduktion und die sehr unterschiedlichen Losgrößen in der Lieferkette. Dr. Leitgeb zeigte eindrucksvoll die Bullwipp-Effekte dieser Supply-Chain-Konstellation vor dem Hintergrund volatiler Märkte mit hohen Bedarfsschwankungen auf. Die Lerneffekte der umfassenden Analysen fasst er in fünf Punkte zusammen. 1. Die „richtigen“ Informationen einholen durch Marktnähe und Fakten anstelle von Einschätzungen, 2. Konsequenzen ziehen aus den Informationen, 3. Kürzen der Supply Chain, 4. Automatisierung der Prozesse, 5. Errichtung eines Hubs am Standort Kapfenberg.
Den abschließenden Block füllten die Hersteller von Logistikanlagen mit ihren Erfahrungen aus Kundenprojekten.
Den ersten Vortrag hielt Dipl.-Ing. Rainer Buchmann, Geschäftsführer der SSI Schäfer Peem GmbH in Graz mit dem Thema Carbon Footprint für ein Logistikcenter. Ausgehend von der Tatsache dass 20% des Energieverbrauchs eines Distributionscenters auf die Logistikanlage entfallen ist Anlass in der Branche intensiv an Lösungen zu arbeiten. Das sind nicht nur die Förderanlagen, an denen durch sparsame Antriebsstränge, Energie-Rückspeisungen, intelligenten Bedarfsabschaltungen von Fördertechnik und Sensorik nach Buchmann Einsparpotentiale von 60% liegen, sondern auch im Konzept lights-out factory. Durch abgrenzbare Bereiche die individuell nicht der nur minimal beleuchtet, beheizt oder gekühlt werden. So sind automatisierte Bereiche und Mitarbeiterbereichen absolut unterschiedlich zu behandeln. Buchmann plädiert auf einen ganzheitlichen Ansatz, der alle Aspekte (Personal, Gebäude, Automatisierung und Verbrauchsmaterial) umfasst, zur Optimierung des Carbon Footprint.
Im folgenden Vortag zeigte Dipl.-Ing. Heinrich Amminger, Geschäftsführer der YLOG GmbH in Dobl (Steiermark), dass ein entscheidender Ansatz zum ressoureneffizienten Lager in frei verfahrenden Transportsystemen liegt. Für die von YLOG entwickelten Systeme sieht er die Erfolgsfaktoren in höchster Lagerdichte, 90%iger Energieeinsparung, hoher Gleichteileanteil bei den Shuttle-Fahrzeugen, Anpassbarkeit an jedes Lagertopologie, in der Autonomie und Dezentralität von Lift und Shuttle sowie eine hohen Verfügbarkeit. An zwei Einsatzbeispielen zeigte er Umsetzung der Erfolgsfaktoren beim Kunden.
Den abschießenden Vortrag, der auch thematisch die vorangegangen Vorträge der beiden Tage aufgriff, wurde von Dipl. Ing. Roman Schnabel, Produktmanager bei der KNAPP AG gehalten. Er stellte mit dem Thema „Marke Grün“ die Frage inwieweit Marketingkonzepte, Umweltgedanken oder Kostenersparnis die Treiber für den Weg der Intralogistik in eine grüne Zukunft sind. Green Logistics ist für Schnabl immer eine Kombination aus ökologischer Notwendigkeit, ökonomischen Gründen und Wettbewerbsvorteilen. Er sieht den Ansatz in der intelligenten Auswahl des Lagersystems, bei dem die Lösung durch die Anforderung bestimmt wird. Das beinhaltet neben Shuttle Lösungen auch den Einsatz optimierter RBG. Anhand eines Praxisbeispiels aus einem Großprojekt mit 20.000 Ein- und Auslagerungen pro Stunde und 200.000 Stellplätzen konnte er aber einen eindeutigen Vorteil der Lösung mit dem KNAPP OSR-Shuttle herausstellen. Mit einer jährlichen Energieverbrauchsdifferenz von 3.408 MW zugunsten des Shuttle geht eine Einsparung von 1.373 Tonnen CO2 einher. Damit ständen 14 ha Wald zur Neutralisation anderer CO2-Erzeuger zusätzlich zur Verfügung.
Dem Feedback der aus mehreren europäischen Ländern angereisten ca. 70 Teilnehmern aus Industrie und Wissenschaft folgend, handelte es sich bei dieser ersten Ausgabe der Logistikwerkstatt um eine für alle Anwesenden informativen und erkenntnisbringende Tagung. Aus Sicht der Veranstalter Institut für Technische Logistik der TU Graz und dem vnl konnte das Ziel – eine Austauschmöglichkeit für technische Themen der Logistik auf hochqualitativem Niveau zu schaffen – erreicht werden. Eine Fortsetzung der Logistikwerkstatt ist bereits in Planung. Über Rückfragen der geneigten Leser zu den Inhalten der Vorträge und die Veranstaltung im allgemeinen freuen sich die Veranstalter.
Prof. Dirk Jodin und Ass.Prof. Christian Landschützer für das Institut für Technische Logistik sowie FH-Prof. Martin Tschandl für den vnl.